Rudelstellung Theorie- ein Beitrag zum Tierwohl oder reine Tierquälerei?

„Tausche einen MBH gegen einen NLH, tausche einen N2 gegen einen V2.“

Solche oder ähnliche Gesuche sind in den heute blühenden Hundetauschbörsen oft zu finden. Es werden Hunde gegen andere Hunde getauscht. Laut Besitzer will man so den Hunden ein schöneres Leben bieten und sie nicht quälen. Dahinter steckt die Theorie der Rudelstellung, die vor allem seit den 2010er Jahren viele Anhänger gefunden hat. Worum geht es hier und wie ist diese Theorie zu bewerten? Eine Spurensuche…

Rudelstellung Theorie
Bild: © DoraZett – fotolia.com

Rudelstellung Geschichte: Karl Werner und seine Nachfolgerin

Es gab einmal einen Gärtnermeister Karl Werner (1902 – 1977) aus Niederwalluf in Hessen. Er betrieb eine Hundezucht, seine Lieblingshunderasse waren die sympathischen Eurasier. Und es gibt Frau Barbara Mohrenstein-Ertel, die einige Zeit ebenfalls im Niederwalluf wohnhaft war. Von Karl Werner soll sie bereits in den 1970er Jahre von der Theorie der Rudelstellungen gehört haben. Etwa 40 Jahre später erinnert sie sich daran wieder und versucht, die Theorie in Praxis umzusetzen.

Heute werden jedes Jahr mehrere Workshops unter anderem in Deutschland und der Schweiz angeboten, wo Hundehalter erfahren dürfen, welchen Hund sie denn bei sich zu Hause aufgenommen haben. Wenn es nicht der Richtige ist, muss das Tier – zu seinem eigenen Wohl – getauscht werden.

Kernelemente der Rudelstellung Theorie

So ganz einfach ist diese Theorie gar nicht, wir versuchen daher, nur die Kernelemente in Kürze zu skizzieren. Es geht vor allem um die vererbbaren Merkmale. Jeder Hundewelpe, genauso wie jeder Wolfs-Welpe, wird in eine bestimmte Position in seinem späteren Rudel hineingeboren. Es sind sieben nachfolgende sieben Rudelstellungen:

  1. Vorrang Leithund (VLH),
  2. Vorrangiger zweiter Bindehund (V2),
  3. Vorrangiger dritter Bindehund (V3),
  4. Mittlerer Bindehund (MBH),
  5. Nachrangiger zweiter Bindehund (N2),
  6. Nachrangiger dritter Bindehund (N3),
  7. Nachrang Leithund (NLH).
Es gibt Würfe, in denen alle sieben Positionen besetzt sind, die sogenannten perfekten Würfe. Ebenso funktioniert ein Rudel mit sieben Gliedern, wo jede Position (Stellung) besetzt ist, optimal. Die Hunde oder Wölfe verstehen sich bestens untereinander, ihr Zusammenleben verläuft reibungslos.

In einem akzeptablen Wurf ist ein MBH unbedingt präsent, aber – da der Wurf unter sieben Welpen hat – sind einige Positionen nicht besetzt. In einem nicht akzeptablen Wurf gibt es Doppelbesetzungen. Das bedeutet, die Tiere sind orientierungslos, die Kommunikation gelingt nicht und letztlich sind die Hunde und ihre Besitzer unglücklich.

Wie erkennt man die Rudelstellung eines Welpen?

Am besten erkennt man nach Ertel die Rudelstellung gleich nach der Geburt an der Schlafposition des Welpen. Ein Blick auf das Foto eines Wurfs, wo alle kleinen Fellnasen dicht aneinander gedrängt liegen – und es wird Frau Ertel klar, um welche Rudelstellungen es sich hier handelt. Doch auch später erkennt ein geübter Blick einen MBH oder V2 – genau dazu dienen die Workshops, wo die Hundehalter ihre Hunde inspizieren lassen – natürlich von Frau Ertel und verständlicherweise nicht kostenfrei.

Warum Hunde tauschen?

In der Tat, wozu einen – angeblich – nicht passenden Hund umtauschen, wenn dieser zum Beispiel als Einzelhund gehalten wird und es eh kein Rudel gibt? Der Grund ist laut der Theorie der vererbten Rudelstellungen folgender:

Auch ein Einzelhund ist unglücklich, es sei denn, es geht um einen VLH oder NLH. Ein MBH geht als Ersthund ebenfalls. Dann fühlt sich das Tier als Einzelhund wohl.

Ist ein Zweithund geplant, soll es spätestens ein Jahr nach der Anschaffung des Ersthundes geschehen – ebenfalls nach der Theorie der Rudelstellungen. So passt zum Beispiel zum VLH ein V2, zum NLH – ein N3 und zum MBH ein N2. Nur in dieser Konstellation entsteht ein perfektes, wenn auch sehr kleines Rudel. Es gibt auch Empfehlungen zu den größeren Rudeln, optimal wäre entsprechend ein Rudel aus sieben Tieren.

Rudelstellung Therie: Spielen kein Spaß für Hunde

rudelstellungen hunde
Bild: © Nagel’s Blickwinkel – fotolia.com

Interessant ist die Einstellung von Fr. Ertel zum Spielen unter den Hunden. Spielen ist laut der Theorie der Rudelstellungen eigentlich kein Vergnügen. Entweder ist das Herumtoben für die Hunde Stress oder das Üben von diversen Fertigkeiten. Spaß haben die Tiere dabei eher nicht und sind eigentlich mit ihrer „Arbeit“ im Rudel vollständig ausgelastet. Unter der Arbeit ist hier ihre Kommunikation und Interaktion mit anderen Rudelmitgliedern, und sei es nur der Mensch selbst, zu verstehen.

Optimal wäre es ohnehin, wenn die Hunde so wenig wie möglich Kontakt zu anderen Vierbeinern haben, denn durch die Kontakte kann sich ihre Rudelstellung ungünstig verändern. Letztlich sind auch Spaziergänge nicht unbedingt notwendig und wenn schon, dann am liebsten ohne Hundebegegnungen.

Hundetausch, Kontaktarmut – sieht so ein perfektes Zusammenleben mit Hunden aus?

Eins vorweg – vieles ist im Verhalten der Hunde vererbbar. Noch eins – Hunde sind eigentlich Rudeltiere. Mehr noch – jeder Hund hat seinen eigenen Charakter, mancher ist neugierig und offen, ein anderer scheu und ruhig. Nicht wenig hängt auch von der Hunderasse ab. (Lesen Sie hierzu auch unseren Artikel „Welcher Hund passt zu mir?) Doch bieten diese Erkenntnisse eine Grundlage für die Theorie der Rudelstellungen? Wohl kaum.

Vor allem gibt es keinen Nachweis, dass es die sieben Positionen innerhalb eines Rudels überhaupt gibt. Zwar nehmen die Wölfe und auch Hunde in einem Rudel unterschiedliche Positionen ein, doch inwiefern diese Position erblich bedingt ist und ob es tatsächlich sieben Positionen gibt, bleibt offen. Bekannt ist, dass ein Hund höchst anpassungsfähig ist, seine Umwelt beeinflusst das Tier und es reagiert auf die äußeren Umstände flexibel.
Zwei ganz unterschiedliche Hundecharaktere, die zusammen in einer Familie leben, freunden sich untereinander an. Nach anfänglichen Reibungen verläuft das Zusammenleben friedlich. Nicht weil diese Tiere passende Rudelstellungen mitbringen, sondern weil sie sich angepasst haben. Sogar mit einer Katze freundet sich ein Hund an und nimmt sie dadurch in sein „Rudel“ auf. Und das, obwohl Hunde und Katzen sich aus mehreren Gründen nicht sonderlich gut verstehen.

Seltsam mutet auch die Idee an, eine Rudelstellung anhand der Schlafposition eines Welpen erkennen zu wollen. Freilich unterscheiden sich sogar die neugeborenen Welpen in ihrer Größe und ihrem Charakter, doch wieso sollen sie in einer bestimmten Reihenfolge beim Schlafen liegen? Und das noch jedes Mal?

Noch eine Anmerkung zum Tausch: Ein Hund liebt seinen Menschen, ist ihm treu ergeben. Sogar eine kurze Trennung ist für die meisten Hunde schmerzhaft. Was tut der Mensch denn seinem Vierbeiner an, wenn er ihn plötzlich weggibt? Der Hund leidet und gewöhnt sich nur mühsam an die neue Familie. Wenn überhaupt.

Hunde sind soziale Wesen, sie wollen kommunizieren. Unter anderem durch das Spiel. Sie lernen gerne Artgenossen kennen und in der Regel verlaufen die Hundebegegnungen friedlich. Es ist eine Qual für das Tier, andere Hunde nur aus Entfernung sehen zu dürfen, ohne eine Möglichkeit, einander zu beschnüffeln. Außerdem spielen die Hunde miteinander wirklich. Wer die Vierbeiner dabei beobachtet, sieht, dass sie häufig großen Spaß dabei haben, um die Wette zu laufen oder einander beim Baden anzuspritzen.

Zu guter Letzt noch ein Wort über die Wölfe: Würfe mit sieben Welpen sind bei den Wölfen selten, genauso wie ein Rudel mit sieben Mitgliedern. Mehr noch, bei der Suche nach einem Partner achten die Wölfe wohl kaum auf die korrekte Rudelstellung – es stehen schlichtweg nicht genug mögliche Partner zur Wahl.